Augustin Souchy

Die Menschheit ist meine Familie

1982 bis 1983 half ich dem fast erblindeten Anarchisten Augustin Souchy seine Post zu erledigen. Er diktierte mir Briefe an berühmte Politiker in der ganzen Welt, die er alle persönlich kannte und mit freundschaftlichem Du anredete - und die ihm prompt und ebenso freundschaftlich antworteten. Bei unseren wöchentlichen Begegnungen erzählte er mir von seinen Erlebnissen mit vielen Persönlichkeiten, die ich entweder nur aus Büchern oder nur vom Hörensagen kannte. Dass ihn Lenin bei der zweiten Internationalen mit dem Rolls-Royce des Zaren abgeholt hätte und ihn auf der Fahrt vom Hotel zum Versammlungsort überzeugen wollte, dass es sich beim politischen Anarchismus nur um eine kleinbürgerliche Kinderkrankheit handele. Er verkehrte mit August Bebel und Rosa Luxemburg - war befreundet mit Erich Mühsam und Gustav Landauer, Leo Trotzki besuchte ihn, kurz bevor er ermordet wurde. Souchy war unterwegs in allen Ländern dieser Welt und versuchte unter anderem Kleinbauern davon zu überzeugen, nach dem Modell der spanische Republik egalitäre Kooperativen zu gründen. Noch mit über 90 Jahren sprach er mit jugendlichem Elan und Enthusiasmus über die Ideen, die er Zeit seines Lebens verfolgte: Dass nur eine anarchistische Gesellschaftsform Frieden und Wohlstand für jeden ermöglichen würde. Nur wenige Wochen vor seinem Tod zeichnete ich ein Gespräch mit ihm auf einem alten Tonbandgerät auf, vergaß allerdings die Pausentaste zu lösen. Erst der zweite Anlauf eine Woche später gelang - allerdings deutlich steifer als das erste Mal, soweit ich mich erinnern kann.

Weitere Produktionen zu dem Thema:
Von wegen Ende der Utopien

Cast & Crew

Drehbuch
Augustin Souchy