73 Die Erfindung des Schweigens 01

Eine kleine Soziologie zum Verhalten des Publikums in der Oper von 1600 bis heute

Dass das Publikum im Opernhaus schweigt, sobald der Vorhang sich hebt, sobald der Dirigent seinen Taktstock hebt, ist heute allgemein üblich, war aber in der rund 400-jährigen Geschichte der Oper in Europa keineswegs von Anfang an so. Im Gegenteil – das Schweigen musste er erfunden werden und konnte sich erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts allgemein durchsetzen. Zuvor war die Oper nur ein Beiwerk für ein Publikum, das gewohnt war im Opernhaus zu schwatzen, zu flanieren, zu essen und trinken, sowie jeder Art von Geschäften nachzugehen. Uli Aumüller hat versucht, die ursprünglichen Verhaltensweisen zu rekonstruieren und nach den Gründen zu suchen, die zu den heutigen Standards führten.

In diesem Teil möchte ich ihnen die Geschichte des Schweigens erzählen. Die Geschichte des Schweigens in der Oper, von den Anfängen bis heute,aufgeschrieben von Sven Oliver Müller und mir.

Im ersten Teil geht es um die Anfänge der Oper um das Jahr 1600. Unsere Geschichte beginnt in Rom und in Florenz.

250 Opernhäuser gibt es weltweit – 120 davon allein im deutschsprachigen Kulturraum. Die Zahlenangaben schwanken, denn es wurden viel mehr Opernhäuser gebaut, die aber heutzutage nicht mehr bespielt werden. Es gibt ein Opernhaus in Tunis, in Marrakesch, in Tiflis, in Mumbai oder Hanoi. In Italien gibt es dutzende Opernhäuser, in denen wenn überhaupt nur gelegentlich Konzerte stattfinden. Sind das noch Opernhäuser im eigentlichen, ursprünglichen Sinne? Oder sind sie nur Zeugen einer vergangenen Epoche? In China hingegen wird gefühlt jede Woche ein neues Opernhaus eröffnet.

All diesen Häusern gemeinsam ist ein Ritual, das sich weltweit etabliert hat. Eine Stunde vor Beginn der Vorstellung öffnen die Türen der Foyers, es wird geplaudert, Sekt getrunken – fünf Minuten vor Beginn wird der Zuschauerraum geöffnet und das Publikum nimmt seine nummerierten Plätze ein. Während der Vorstellung wird geschwiegen, kein Telefon, kein Essen, keine Gespräche oder lauten Geräusche werden akzeptiert. Erlaubt ist nur der Applaus, vielleicht am Ende der Arien, meist aber nur am Ende des Aktes, vor der Pause, in der man sich wieder ins Foyer begibt, um zu plaudern, zu flanieren, Häppchen zu sich zu nehmen. Nach einem Klingelzeichen oder Gong begibt man sich zurück auf seinen nummerierten Platz – applaudiert oder schweigt, oder buht – geht nach der Oper ins Restaurant, ins Hotel oder nach Hause.
Dieser Ablauf ist uns so geläufig, erscheint uns so normal, dass wir das Rituelle daran gar nicht unbedingt erkennen wollen. Derweilen hat sich das Publikum mitnichten immer so verhalten, wie das heute üblich ist – das Schweigen während der Vorstellung, es musste erst erfunden und erlernt werden, wie so manches andere, was verboten oder erlaubt ist. Das Thema dieser und der nächsten vier Folgen der Musikstunde ist die Geschichte des Verhaltens des Publikums – von den Anfängen der Oper bis heute – insbesondere die Geschichte der Erfindung des Schweigens – warum es erfunden wurde und warum es wieder verschwinden könnte. Ziel ist es den öffentlichen Raum zu betrachten, den Blick auf den Wandel der Verhaltensmuster zu lenken, das Verhältnis zwischen Kompositionen und Geschmack zu beleuchten. Das gibt uns Einblick nicht nur in die künstlerische, sondern auch in die politische und soziale Verwandlung der Gesellschaft zwischen 1600 und heute.

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Kritik Süddeutsche Zeitung

Diese Produktion kann als CD zum Preis von 12,80 € bei der inpetto filmproduktion bestellt werden. Bitte schreiben Sie eine mail an: bestellungen@inpetto-filmproduktion.de

Cast & Crew

Regie
Uli Aumüller (Text)
Drehbuch
Sven Oliver Müller
Redakteur/in
Bettina Winkler